MINT meets moderne Didaktik

Ein Drama um die 4 K

in drei oder vier Akten

von Ulrike Schäfer

Zusammenfassung:

Was für ein Theater! Alle sind sich einig, das Fachwissen allein nicht ausreicht, um in einer digitalisierten Welt von morgen bestehen zu können. Als Superhelden betreten die fantastischen 4 K die Bühne – zur Freude des Kollegiums. Denn welcher Lehrer, welche Lehrerin wünschte sich das nicht: Schüler/-innen, die kritisch denken, kollaborativ arbeiten und dabei auch noch kommunikativ und kreativ sind? Aber was heißt das überhaupt konkret? Und wie können solche Kompetenzen im Unterricht gefördert werden, ohne gleich eine neue Projektgruppe gründen zu müssen. Wir haben da ein paar inspirierende Impulse für Sie.

Akt 1: Der Anfang

2023, irgendwo in Deutschland.

Eine nicht näher bezeichnete Lehrkraft aus dem MINT-Bereich an einer nicht näher bezeichneten Schule scrollt sich durch die Nachrichten: „300 Millionen Angestellte könnten schon bald durch KI ersetzt werden“ und „Studie: Besonders Frauen von drohendem Jobverlust durch KI betroffen“. Sie legt das Tablet nieder und blickt auf den Klausuren-Stapel, der auf ihren Rotstift wartet: Mathe, 9. Klasse, Satz des Pythagoras. Sie seufzt und denkt sich: Reines Fach- und Formelwissen wird diesen Neuntklässler/innen kaum dabei helfen, sich gegen die sich rasant weiterentwickelnden Algorithmen auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Sie ist entschlossen, zu handeln – und begibt sich auf eine Reise der Recherche, um herauszufinden, was sie tun kann.

Akt 2: Die Erkenntnis

Die nicht näher bezeichnete Lehrkraft informiert sich, welche Kompetenzen ihren Schüler/innen im Wettbewerb mit dem rasanten Innovationszyklus des 21. Jahrhunderts einen Vorsprung verschaffen. Und Bingo – sie stößt auf die vier großen Ks: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken. Ein Lichtblick!

Akt 3: Die Ernüchterung

Schnell macht sich Überforderung breit. Die bisherigen Strukturen der MINT-Fächer sind wenig auf die vier Kompetenzen ausgerichtet. Und in den Abschlussprüfungen, auf die es die Schüler/innen vorzubereiten gilt, werden die Lernenden nicht auf Kreativität oder Kollaboration, sondern  eben auf Fachwissen geprüft. Auch außerhalb des Regelunterrichts scheint es keinen Rahmen zu geben, um die vier Ks anderweitig zu vermitteln. Für eine MINT-AG, in der disziplinübergreifendes Herumprobieren und Austüfteln möglich wäre, fehlt es an Ressourcen. Doch an großen Ks mangelt es im Schulalltag trotzdem nicht: Kurse vorbereiten, Klausuren korrigieren, Klasse managen, Konferenzen besuchen – und das alles unter konstantem Zeitdruck.

Es ist hoffnungslos.

Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, besteht die Chance, dass Sie sich in dieser Geschichte wiedererkennen. Und nein, die Widerstände, denen Sie als engagierte Lehrkraft auf dem Weg zu Veränderungen begegnen, bilden Sie sich nicht ein. Es ist ein Kraftakt, sich der Starrheit des Systems zu widersetzen – vor allem bei dem Minimum an Mitteln, das Ihnen zur Verfügung steht. Niemand könnte Ihnen also vorwerfen, wenn Sie vor dem Drama resignieren. The End. Doch wenn Sie zu denjenigen gehören, die zumindest offen genug für ein paar Impulse sind, dann lesen Sie weiter!

Lassen Sie uns zunächst einen näheren Blick auf die vier Ks werfen – und wie sie zum Teil missverstanden werden: Kreativität bedeutet nicht, zu denken, wie noch nie jemand zuvor gedacht hat, sondern: zu denken, wie man selbst zuvor noch nie gedacht hat. Kritisches Denken heißt nicht, Dinge streng zu beurteilen, sondern seinen eigenen Denkprozess selbstständig steuern und korrigieren zu können. Kollaboration zielt nicht darauf ab, die Arbeit effizient aufzuteilen und anschließend zusammenzuführen. Stattdessen geht es darum, innerhalb einer Gruppe gemeinsam zu denken – mit dem Ziel, auch gemeinsam Erkenntnis zu gewinnen. Und Kommunikation hat nichts damit zu tun, wie medienaffin man ist, sondern wie gut man die eigenen Gedanken so mitteilen kann, dass andere davon zum Denken und Lernen angeregt werden. Ein flexibler Umgang mit komplexen Themen, eine hohe Selbstverantwortung im Denken und die Fähigkeit, mit anderen Menschen gemeinsam eine kollektive Intelligenz zu formen, stellen also die idealen Resultate der vier großen Ks dar. Keine leichte Angelegenheit.

 

In disziplinübergreifender Projektarbeit ließen sich diese Kompetenzen vermutlich am besten trainieren. Doch auch im eigenen Unterricht gibt es Möglichkeiten, wenigstens ein paar der Ks immer mal wieder zu stärken:

Fachwissen als Brettspiel

Inspirieren Sie Ihre Schüler/innen, ihr frisch gelerntes Fachwissen in ein Brettspiel zu verwandeln! Schon die vorbereitenden Überlegungen bringen sie dazu, ganz neue Gedankengänge zu beschreiten: Was könnte das Ziel dieses Spiels sein? Welche Hindernisse und unvorhergesehenen Ereignisse könnte es geben? Welche Währung? Zusammen mit einer Spielanleitung, die zeigt, wie genau die Schüler/innen das fachliche Wissen in der Logik des Spiels abbilden, könnte solch ein Produkt sogar als alternative Prüfungsform dienen. Wer weiß, vielleicht entwickeln Ihre Schüler/innen bald das große Gesellschaftsspiel zur Fotosynthese! Für Lernende, die schon etwas geübter im selbstständigen Arbeiten sind, kann die Brettspiel-Challenge sogar den selbstständigen Wissenserwerb anregen. Der einzige Arbeitsauftrag könnte darin bestehen, ein Spiel zum neu zu behandelnden Thema zu entwickeln. Die genauen Inhalte müssten sich die Schüler/innen dann selbstständig erarbeiten – bevor sie sie schließlich in die Struktur eines Brettspiels übersetzen.

Spannende Denk- und Rechercheaufgaben

Bringen Sie Ihre Schüler/innen dazu, sich eigene Denk- und Rechercheaufgaben zu stellen! Dies eignet sich vor allem für Vertretungsstunden, freiwillige Hausaufgaben oder die berühmten letzten Stunden vor den Ferien. Dabei stellen Sie den Schüler/innen eine Entscheidungsfrage, die auf dem ersten Blick harmlos wirkt, bei genauerem Nachdenken jedoch eine ganze Kette von Folgefragen, Recherchen und manchmal auch Berechnungen auslöst. Zum Beispiel: „Würdest du eine Million Euro annehmen, wenn du dafür jede McDonald’s-Filiale in Deutschland besuchen und dort mindestens einen Artikel kaufen müsstest?“ Klingt erst einmal verlockend, aber: Wie viele McDonald’s-Filialen gibt es eigentlich in Deutschland? Wie teuer ist der günstigste Artikel, den man dort kaufen kann? Was kostet es, durch Deutschland zu reisen? Wie lange würde das dauern? Welche anderen Ausgaben hätte man in der Zeit? Ist dieser Aufwand eine Million wert? Wie lange könnte man sich damit auf die faule Haut legen? …

Beim Festlegen der Entscheidungskriterien gibt es kein Richtig oder Falsch – vielmehr geht es darum, sich der Komplexität der Entscheidungsfrage zu öffnen. Um die Schüler/innen zum intensiven Nachdenken anzuregen, könnte auch die Regel eingeführt werden, mindestens dreißig Aspekte in die Entscheidung einzubeziehen. Ein Bonus-Tipp: Sachlichere Fragen wie „Welche Energiequelle würdest du nutzen, wenn du auf dem Mars wärst?“ sorgen sogar dafür, dass sich die Schüler/innen in ihren Recherchen nebenbei auch Fachwissen aneignen!

Schüler/-innen mehr zutrauen

Trauen Sie Ihren Schüler/-innen Aufgaben zu, die sie eigentlich noch nicht beantworten können! Neuntklässler/innen können sogar schon (einige) Abituraufgaben lösen – sofern sie die Gelegenheit haben, zu recherchieren und nachzufragen. Aber: Beantworten Sie die Fragen der Schüler/innen stets nur mit einer Gegenfrage, die produktiv für ihren Denk- und Rechercheprozess ist!

Akt 4: Das Ende, das ein Anfang ist

Ein Schuljahr später.

Die nicht näher bezeichnete Lehrkraft hat es sich zur Routine gemacht, in ihrem Unterricht immer mal wieder Aufgabentypen einzubauen, die der Förderung der vier großen K dienen. Die Schüler/innen fanden es anfangs ungewohnt, doch mittlerweile haben sie Gefallen daran gefunden, in dieser Art von Denken herausgefordert zu werden. Es geht nicht immer alles nach Plan – aber so ist das eben in diesem Job. Auch einige Kolleg/innen sind neugierig geworden. Manche haben sogar gefragt, ob sie sich die Aufgaben für den eigenen Unterricht „ausleihen“ können. Die nicht näher bezeichnete Lehrkraft lächelt. Veränderungen beginnen eben immer mit dem ersten Schritt.

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2024-02-16T08:43:31+01:00
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